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Heizungsinstallateure transportieren einen demontierten Ölheizkessel aus einem Zürcher Haus ab. Foto: Gaëtan Bally (Keystone)


Abstimmung am 28. November Das neue Zürcher Energiegesetz soll dem Klima zuliebe das Ende der Öl- und Gasheizungen beschleunigen. Über den Ansatz lässt sich streiten – nicht aber über den Anlass dafür.


Am 28. November stimmt Zürich über das neue kantonale Energiegesetz ab, das Öl- und Gasheizungen zum Verschwinden bringen soll. Wo eine Heizung ersetzt werden muss, sollen künftig folgende Regeln gelten: Wenn eine klimaneutrale Lösung über den gesamten Lebenszyklus nicht mehr als 5 Prozent teurer ist als eine herkömmliche, ist ihr Einbau mit wenigen Ausnahmen Pflicht. Befürworter und Gegner sind uneins, ob eine solche Regel wirklich nötig ist, um die internationalen Klimaziele zu erreichen. Kaum bestreiten lassen sich aber die grundlegenden Fakten, die den Gesetzesentwurf ausgelöst haben. Hier sind die wichtigsten, die man kennen sollte.

 

Grafiken: Beim Heizen entsteht ein grosser Teil der Zürcher CO2-Emissionen – und noch immer setzen viele auf Öl und Gas

 

 

1 Beim Heizen geht es um eine Menge CO2

Eine einzige Ölheizung für ein Einfamilienhaus, die 2200 Liter pro Jahr verbrennt, verursacht so viel CO2, dass man 110 Bäume pflanzen müsste, um das zu kompensieren. Bei einer entsprechenden Gasheizung sind es etwa 80 Bäume.
Der gesamte CO2-Ausstoss aller Gebäude ist zwar seit etwa 15 Jahren rückläufig, im Kanton Zürich wie im Rest des Landes. Nicht zuletzt, weil in Neubauten keine fossilen Heizsysteme mehr verbaut werden. Trotzdem wird ein Grossteil der Häuser im Kanton Zürich noch immer mit Öl oder Gas beheizt, weshalb dieser Sektor bei der letzten Erhebung im Jahr 2015 immer noch 40 Prozent aller Emissionen im Kanton Zürich verursachte.
Das ist so viel CO2, als würde man ein vollbesetztes Langstreckenflugzeug, das vielen als Klimakiller Nummer 1 gilt, 1200-mal rund um die Erde fliegen lassen – oder über 60-mal zum Mond und zurück. Um diese immense Menge an Treibhausgas abzubauen, müssten jede Zürcherin und jeder Zürcher 130 Bäume pflanzen und stehen lassen. Oder anders gesagt: Man müsste dreimal die Fläche des Kantons Zürich komplett bewalden.

 

 

2 Die Mehrheit heizt mit Öl und Gas und bleibt dabei

Wie viele Öl- und Gasheizungen es im Kanton Zürich exakt gibt, ist nicht bekannt. Die Behörden gehen von 120’000 aus. Insge-samt stehen auf Zürcher Boden rund 220’000 beheizte Gebäude. Nicht jedes verfügt aber über eine eigene Heizung, zum Teil werden mehrere über eine gemeinsame Zentralheizung versorgt. Deshalb dürfte der Anteil der Öl- und Gasheizungen an allen Anlagen etwa 60 Prozent betragen.
Der kantonale Klimabericht, erstellt noch unter dem ehemaligen SVP-Baudirektor Markus Kägi, kam 2018 zu folgender Erkenntnis: Beim Heizungsersatz verzichten rund 60 bis 70 Prozent der Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer auf eine klimaneutrale Lösung. Sie bauten erneut eine Öl- oder Gasheizung ein. Eine Untersuchung in der Stadt Zürich im gleichen Zeitraum kam zu einem Wert, der sogar noch ein gutes Stück höher lag: Bei fast 9000 Öl- oder Gasheizungen, die zwischen 2010 und 2018 ersetzt wurden, gab es demnach in 88 Prozent aller Fälle keine klimaneutrale Lösung.
Zuletzt gab es Anzeichen, dass sich etwas ändert: Seitdem der Kanton Zürich vor gut einem Jahr begonnen hatte, den Umstieg auf klimaneutrale Heizungen finanziell zu unterstützen, ging der Anteil fossiler Ersatzlösungen zurück. Jüngste Erhebungen zeigen aber, dass trotzdem noch immer 53 Prozent der Einfamilienhäuser und sogar 70 Prozent der Mehrfamilienhäuser bei einer herkömmlichen Anlage bleiben –deutlich mehr als die Hälfte setzt also weiterhin auf Öl oder Gas.

 

 

3 Das aktuelle Tempo reicht nicht

Der Bundesrat hat sich den Pariser Klimazielen verschrieben: Bis 2050 klimaneutral sein, um eine bedrohliche Erwärmung des Planeten um mehr als 1,5 Grad ab-zuwenden. Fachleute gehen da-von aus, dass man dazu bis 2040 die gesamte Wärmegewinnung auf erneuerbare Energien umgestellt haben muss. Wenn aber Zürich bei der Umrüstung auf klimaneutrale Heizungen im gleichen Stil weitermacht wie bisher, wird dieses Ziel deutlich verfehlt. Dazu zunächst eine einfache Überlegung: Neue Heizungen halten im Schnitt etwa 20 Jahre. Das bedeutet, dass jede Öl- und Gasheizung, die in diesem und in den kommenden Jahren neu eingebaut wird, wahrscheinlich bis übers Jahr 2040 hinaus am Laufen bleibt – erst dann besteht die nächste Chance auf einen klimafreundlichen Ersatz.
Dass es im Kanton Zürich zu langsam vorwärtsgeht, um die angestrebten Ziele zu erreichen, zeigt auch ein oberflächlicher Blick auf den jährlichen CO2-Aus-stoss des hiesigen Gebäudesektors. Die Kurve zeigt zwar seit 2005 fast in gerader Linie nach unten, aber nicht steil genug, um in der Nähe des Jahres 2040 bei null zu landen. Ein weiteres Problem dieser Kurve: Sie beruht auf den landesweiten Zahlen und gibt

Man müsste pro Jahr dreimal die Fläche des Kantons bewalden, um den Zürcher CO2-Ausstoss zu kompensieren.

nur den bevölkerungsmässigen Anteil der Zürcherinnen und Zürcher an den Gesamtemissionen wieder. Da in der Realität manche Kantone beim Umrüsten schneller vorankommen als Zürich, könnte das Bild verfälscht sein.
Daher zum Schluss noch eine simple Rechnung und ein etwas komplexeres Gedankenspiel: Im ganzen Kanton werden jährlich etwa 6000 bis 7000 Heizungen ersetzt. Wir treffen nun zwei grosszügige Annahmen: Erstens, dass dies samt und sonders alte Öl- und Gasheizungen sind. Zweitens, dass künftig die Hälfte davon durch eine klimaneutrale Anlage ersetzt wird – also et-was mehr, als es im laufenden Jahr tatsächlich der Fall ist. Dann kommt man auf 3500 Umrüstungen jährlich. Jetzt könnte man denken: Wenn sich dieses Tem-po durchhalten lässt – jedes Jahr 3500 Öl- und Gasheizungen weg –, käme man bis im Jahr 2055 von heute 120’000 Stück auf null. Das ist aber leider nicht nur zu spät, es stimmt auch nicht.
Tatsächlich würde es deutlich länger dauern. Denn die Zahl der noch zu ersetzenden Öl- und Gasheizungen würde jedes Jahr et-was geringer, und solange weiterhin nur die Hälfte davon durch ein klimaneutrales Modell ersetzt wird, reduziert sich auch der Umrüstungsfortschritt nach und nach. So lange, bis irgendwann im ganzen Kanton nur noch zwei Ölheizungen laufen – und selbst von diesen würde eine nochmals durch eine Ölheizung ersetzt, die dann für weitere 20 Jahre in Be-trieb ist. Kurz: Die Kurve verläuft bei einem konsequenten Weiter-wie-bisher nicht linear nach unten, sondern flacht zum Ende ab.
Es muss sich also etwas ändern, um die Ziele zu erreichen. Was, ist Gegenstand der aktuellen Debatte.

Mit freundlicher Genehmigung von Tamedia. Artikel vom 5. 11. 2021. Über den Autor: Marius Huber arbeitet seit 2014 als Redaktor fürs Ressort Zürich Politik & Wirtschaft, bis Ende 2020 mit Schwerpunkt auf der Stadt Zürich. Er hat ein Studium der Geschichte, der politischen Philosophie und der Architekturgeschichte an der Universität Zürich abgeschlossen.